Samstag, 15. Juli 2017
Vater-Tochter-Beziehung
Wer meinen vorherigen Beitrag gelesen hat, der weiß ja schon, dass ich schon immer ein Papa-Kind war. Obwohl er gar nicht so oft da war - meistens war er arbeiten. Erst abends, wenn wir in jungen Jahren schon mit einem Fuß im Bett waren, kam er dann heim. Als ich älter war und mein Vater seine eigene Firma aufgegeben hatte (und in seinem neuen Job nicht ganz so sehr beansprucht wurde), war er immer mein Fels in der Brandung. Man muss dazu sagen, dass mein Vater immer etwas hatte, was mir heute noch fehlt: Ein Urvertrauen, dass alles schon irgendwie seinen Weg gehen wird. Dass alles früher oder später wieder gut wird. Ein abendlicher Besuch bei meinem Vater, bei dem ich mich lediglich zu ihm setzen musste und gar nicht groß reden brauchte, war für mich also immer eine Art Therapie. Egal, wie schlecht es mir zu dem Zeitpunkt ging.... wenn ich zu meinem Vater kommen konnte und er mir sagte "das passt schon alles so", war ich immer von der größten Last befreit.
Ich hab einen Hang zur Depression und gerade deswegen tat es mir immer wahnsinnig gut, vom Urvertrauen meines Vaters mitgerissen zu werden.

Leider denkt nie jemand, dass einem selbst mal so etwas passieren würde, aber ja, es passiert trotzdem....

Im Oktober 2015 verstarb mein Vater. Mein Fels.
Er hatte vor Jahren schon mal Krebs. Den hat er besiegt. Davon hab ich erst erfahren, als er es schon überstanden hatte. Er bekam Diabetes. Verlor deutlich an Gewicht. Und im jungen Alter von 57 ereilte ihn ein Herzinfarkt.

Ob das das Ende war?
Oh, nein, das wars nicht.
Er selbst diagnostizierte den Herzinfarkt an sich selbst und bat meine Mutter in aller Ruhe, ihn doch bitte ins Krankenhaus zu bringen. Sie tat es und seine Vermutung bewahrheitete sich. Er verbrachte einige Zeit in unserem örtlichen Krankenhaus, bis sie ihn zu Spezialisten brachten. Das allerdings auch nur, weil er ihnen offenbar fast weggestorben wäre.
Und dann kamen die Operationen.... 6 Stents wurden ihm gesetzt. Eine außerordentliche Menge, wie ich finde. Auch das alles hab ich erst im Nachhinein erfahren.
Der Eingriff verlief gut. Eine Reha wurde angesetzt. Bis dahin kam unser Papa endlich wieder zu uns heim. Die erste Zeit verbrachte er nur im Bett, aber es ging ihm besser. Er wirkte stabiler und wagte sich dann sogar eines Abends zu uns an den Tisch um mit uns gemeinsam zu essen. Wie früher scherzte er zu Tisch und munterte uns alle wieder auf. Mich, meine nur wenig ältere Schwester und meine Mutter.
An dem Abend war meine Mutter verabredet. Sie ging aus und ich genoss erstmal wieder die Anwesenheit meines Vaters. Ich sprach mit ihm über meine steigende Depressionen und vertraute ihm an, dass ich manchmal suizidiale Gedanken hatte. Zum ersten Mal merkte ich, dass er wirklich überrascht war - so hätte er mich vermutlich nicht eingeschätzt.... schon kurz darauf bereute ich, ihm jemals davon erzählt zu haben...

Den Abend gab ich noch Nachhilfe und verbrachte den Rest der Zeit in meinem Zimmer am PC. Plötzlich kam meine Schwester in mein Zimmer gestürmt und erzählte panisch davon, dass es Papa schlecht ginge. Ich rannte sofort zu ihm - er versuchte verzweifelt den Weg in sein Zimmer zurück zu meistern. Ich half ihm - meine Schwester wählte den Notruf. Mein Vater war leichenblass und schnappte verzweifelt nach Luft. Er schwitzte extrem und zitterte. Jeder Muskel seines Körpers arbeitete gegen ihn - er bekam einfach keine Luft... es war schrecklich, ihn so zu sehen und nichts machen zu können... für meinen Vater war es vermutlich noch viel schlimmer - niemals hätte er gewollt, dass seine beiden jüngsten Töchter ihn so zu Gesicht bekommen würden.

Als die Rettungskräfte kamen, konnte er geraden noch auf die Frage "Was genau fehlt Ihnen?" mit "Atem-not" antworten. Dann sackte er in sich zusammen und seine Augen verdrehten sich nach hinten. In dem Moment wurde mir zum ersten Mal klar, dass man seinen Vater tatsächlich verlieren kann. Am Boden liegend folgte eine Reanimation. Mein Papa - leblos. Ich und meine Schwester flüchteten aus dem engen Raum. Wir brachen beide zusammen. Meine Schwester mehr als ich, ich tröstete sie so gut es ging. Wir riefen unsere Geschwister zu uns... mussten ihnen sagen, dass Papa stirbt. Irgendwann kamen sie... und Mama... der Notarzt... und das Kriseninterventionsteam, das uns zugleich ans Herz legte, wie wir uns mit dem Bestattungsunternehmen verständigen könnten. Keiner war dazu schon bereit.

Mein Vater starb. Keiner konnte etwas tun. Ließ uns ziemlich mittellos und am Boden zerstört zurück. Ich war zu dem Zeitpunkt 17 Jahre alt. Es war 2 Monate vor meinem 18. Geburtstag. Meinen Fels konnte mir allerdings ein paar Wochen später niemand zurückbringen...

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